Mediale Bilderwelt - Kleine Geschichte der Gouacheomalerei




Das leuchtende Mittelalter
In Europa ist die erste Anwendung von deckender Gouache für das frühe Mittelalter verzeichnet. Mit der Erfindung des Codex im 4. Jhdt. n. Chr., ein aus Einzelseiten bestehendes und gebundenes Buch, wird die traditionelle Schriftrolle verdrängt. Peu á peu übernimmt das neue Medium eine gewichtige Funktion innerhalb der mittelalterlichen Wissensvermittlung. Dies beflügelt zunehmend die hochwertige künstlerische Ausgestaltung der Buchmalerei. Es entstehen in den Klöstern, den damaligen „think tanks“, Scriptorien (Schreibstuben), in denen Mönche die heilige Schrift oder andere archivierte klassische Autoren von Hand kopierten und farbig illustrierten. Seit der vorkarolingischen Zeit wurden besonders wertvolle Bücher „illuminiert“, d. h. malerisch ausgeschmückt. Zunächst beschränkte sich die Ausmalung auf eine rein dekorativ-ornamentale Verzierung der Initialen, der Anfangsbuchstaben. Irische Mönche entwickelten dazu einen ornamentalen Flächenstil, welcher sich noch aus Tier- und Pflanzenornamenten keltisch-germanischen Ursprungs speist. Von Karl d. Großen ist bekannt, das er irische Mönche nach Aachen holte, um die in seiner Hof- und Palastschule anfänglich noch unterentwickelte Kunst der karolingischen Buchmalerei zu befördern. Als berühmtes Beispiel der Hofschule gilt das „Evangeliar aus St. Médard in Soissons“, da es eine komplizierte Verschränkung der rahmen- und bildarchitektonischen Motive mit prächtigen Farbkontrasten zeigt.
Für die Herstellung der verwendeten Farben und die technische Ausführung der Malereien gab es neben der mündlichen und praktischen Überlieferung in den einzelnen Scriptorien auch allgemeine Rezept- und Malbücher. Sie beruhen auf Traditionen, die bis in die Antike zurückreichen. Eine wichtige Sammlung von Buchmalerei-Rezepten ist das um 800 in Italien entstandene „Lucca-Manuskript“ byzantinischen Ursprunges, das insgesamt 157 Rezepte der Farbherstellung nennt. Seit dem 12. Jhdt. werden die zwei Sammelhandschriften „Mappae Clavicula“ und das Traktat „De coloribus et artibus Romanorum“ Grundlage späterer Malvorschriften und Unterweisungen. Von der Antike bis ins 16. Jhdt. veränderten sich die verwendeten Rohstoffe nur wenig. Sie wurden aus Mineralien, Pflanzen oder Tieren gewonnen und in genau berechneten Mixturen verwendet

Auf den hinteren Rängen der Renaissance
Im Trecento und der italienischen Frührenaissance sind viele herausragende Künstler mit ihren Werken Anlass für die Schriften von Dichtern und Künstlerkollegen gewesen. Biografien, Werkbeschreibungen und -urteile sowie Kommentare zu künstlerischen Techniken begünstigten die Kunstentwicklung. Um 1400 verfasste Cennino Cennini das berühmte „Trattato della pittura”, welches neben praktisch-technischen auch allgemeine Fragen zur Malerei bearbeitete. Der Künstler erklomm die gesellschaftliche Hierarchieleiter. Seine Gelehrigkeit und sein Können waren Gegenstand von wissenschaftlichen Betrachtungen. Wichtige Quellen zur Renaissancemalerei sind die Arbeiten folgender Künstler und Autoren: Giorgio Vasaris „Künstlerviten” (1550), Paolo Pinos „Dialogo di Pittura” (1548), Giovanni Battista Armeninis „De’ veri precetti della pittura” (1587) und Raffaelo Borghinis „Il riposi” (1584). Ihrer Auffassung nach, war mit einer wässrigen Malweise keine bedeutende Aufgabe in der Malerei zu bewältigen. Sie sprachen der Maltechnik „a guazzo” lediglich Landschaften, Theater- und Festdekorationen und „andere kurzlebige Gelegenheitsarbeiten” zu. Kurzum, sie galt den „Theoretikern” als nicht würdig. Indessen wurde sie überaus häufig von italienischen Malern des Cinquecento, selbst auf Altarbildern und Orgelflügeln, praktiziert. In der Renaissance bildeten sich viele neue Bildgattungen und Arbeitstechniken heraus. Neben Wandbemalungen und Wandbehängen, die eine Vorform zur Leinwandmalerei darstellen, sind die „mobilen Schaubilder” für unseren Kontext wichtig. Diese tagesaktuelle Gebrauchsmalerei für Fahnen, Prozessionsbilder und Festdekorationen wurde häufig „a guazzo” oder „a tempera” bzw. in Kombination der Techniken ausgeführt. Leider sind dazu keine Beispiele erhalten geblieben. In seinem einleitenden Kapitel „über die Chiaroscuro-Malerei“ erwähnt Giorgio Vasari den Einsatz von Erdfarben auf Wänden in Leimtechnik, welche er „a guazzo” oder „a tempera” nennt. Des weiteren traten Gouachefarbe als Erdfarben, Leimfarben und Deckfarben mit Weiß variierend betitelt, bei Entwürfen, Skizzen und Kartons von Gemälden, Tapisserien oder monumentalen Wandmalereien auf. Raffaels (1483-1520) 1516 entstandenen „Londoner Kartons”, für die in Brüssel gewebten Gobelins der Sixtinischen Kapelle in Rom, weisen als Untermalung eine bräunliche Lavierung auf Papier mit späterer Feinmodellierung auf. Auch der Venezianer Tizian (1477-1576) legte den Bildentwurf für das Ölgemälde „Tod des Aktaion” von 1560 direkt in Erdfarben mit Weiß auf grundierter Leinwand an. Nördlich der Alpen kombinierte vor über 500 Jahren Albrecht Dürer (1471-1528) Gouache- und Aquarellfarben für seine erstaunliche Naturstudie „Großes Rasenstück” 1503.

Freude und Zier im Barock und Rokoko
Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung von Bildaufgaben und maltechnischen Kenntnissen weitet sich das Feld für Gouachefarben aus. Zuvor beschriebene Bereiche hatten weiterhin Geltung. So verwendet der spanische Maler Pacheco (1564-1654) in Sevilla, Meister und Schwiegervater des berühmten Diego Velazquez, eine a guazzo-Malerei für die in Graustufen gehaltene Untermalung seiner Ölbilder. Andere Gebiete kommen neu hinzu oder werden verfeinert. Vorzugsweise auf Wänden in repräsentativen Architekturen, zur Restaurierung älterer Freskoarbeiten bedienten sich die Barockmaler generell einer Sekkoübermalung in Leimfarben. Die Gouachemalerei auf trockenen Innenwänden bot sich als billige gilbungsfreie Technik für freskoähnliche Wirkungen an. In Rokokoräumen sind Kombinationen aus fresko- und sekkobemalten Decken mit bemalten Wandtapeten keine Seltenheit.
Nach 1700 und bis ins Rokoko waren so genannte „Chinoiserien” sehr in Mode. Angeregt durch Reisebeschreibungen über China und die Einfuhr chinesischer Kunstgegenstände, kam es zur Produktion von dem Vorbild gleichenden Kopien bei Porzellan, Stuck- und Holzarbeiten in Architekturen, Möbeln oder auf Tapeten, vorgesetzten Paneelen und textilen Wandbespannungen. Auch hier sind es Leimfarben auf Kalk- oder Kreidegrundierung, wiederum meistens in Verbindung mit Tempera- oder Öltechnik. Gouachen sind neben der Emailfarbe für kostbarste Miniaturen (Schmuckgegenstände, Bildnisse) verwendet worden, die als Geschenke und Mitbringsel dienten. Gemalt wurde auf Metall, Stoff, Pergament oder Elfenbein-, Kupfer- und Silbertäfelchen. Die Bildnisminiaturmalerei steigt im 18. Jh. zu besonderer Blüte und Popularität auf, nicht zuletzt, weil das kleine Format dem verspielten Rokokogeschmack entgegenkam. Schöne Bildnisminiaturen hat der französische Maler Jean Petitot (1607-1691) hinterlassen.

Künstlerische Aufwertung im 19. Jahrhundert
Im 19. Jhdt. dominiert die französische Malerei und sendet gewichtige Impulse zwischen Romantik, Realismus, Impressionismus und Postimpressionismus aus. Francois Millet (1814-1875) hebt zum ersten Mal den arbeitenden Menschen in seine bildlichen Darstellungen. In Deutschland sind es Adolph von Menzel (1815-1905) und Wilhelm Leibl (1844-1900), deren Aufmerksamkeit auf die Welt der Arbeit fällt. Mit dem künstlerischen Ausdrucksinteresse von Atmosphäre, Unmittelbarkeit und Nähe zum Motiv gewinnt die Gouachemalerei eine neue Stellung in der akademischen Hierarchie der Maltechniken. Die 1872 entstandene kleinformatige Gouache „Selbstbildnis im Walzwerk” von Menzel ist ein charakteristisches Beispiel des bürgerlichen Realismus. In einem malerischen Hell-Dunkelkontrast fängt er sich selbst und die Schwere der Arbeit ein. Menzel hatte zahlreiche Arbeiten und Themen in Gouachefarben ausgeführt, darunter Festivitäten, Historienbilder und Porträts. Hervorzuheben ist eine wunderbare Folge von 44 Gouachen, die er zwischen 1863 und 1883 für die Kinder seiner Schwester malte. Zusammen mit einem Titelblatt bilden sie das so genannte „Kinderalbum”. Zahlreiche Besuche in zoologischen Gärten inspirieren ihn zu dieser Serie von Tierstudien und entspannten Szenerien. Menzel nahm an der Entwicklung der Kinder regen Anteil und sah diese Folge an Gouachen als Geschenk und Wertanlage gleichermaßen vor.

Die neue Vielfalt im 20.Jahrhundert
Die Gouache gewinnt zunehmend die Aufmerksamkeit der Künstler quer durch alle Ismen in der Malerei des letzten Jahrhunderts. Angefangen bei den Künstlern des Fauvismus, Expressionismus und der Abstrakten Kunst, für die die Farbe als emotionaler und seelischer Ausdrucksträger zentral war, bis hin zu den Neuen Wilden in den 1980er Jahren.
Sicherlich ist dies mit der relativen Befreiung der Künste aus ihren akademischen Zwängen verbunden und auf die über Jahrhunderte ausgebildeten praktischen Vorzüge der Gouachefarben zurückzuführen.
Seit den 1940er Jahren beschäftigte sich Henri Matisse (1869-1954) mit der Technik der Scherenschnittcollagen aus leuchtend farbigen Papierausschnitten, die er zuvor in Gouachefarben bemalt hatte.
Der Expressionist und „Brücke”- Maler Otto Müller (1874-1930) führte mit Vorliebe seine Arbeiten in Leimfarben, die zum Farbsystem der Gouache gehören, aus. Er schätzte ihre stumpfen Oberflächenwirkungen, die zusammen mit dem Bildträger Rupfen in grober Struktur erschienen und gebrochene Farbtöne evozierten. Müller hat sich vielfach auf Wandmalereien bezogen und eine ähnliche Wirkung in seinen Werken beabsichtigt. Das Gemälde „Paar in der Kaschemme” führt in ungewöhnlicher Farbigkeit Rot-Grün- und Hell-Dunkelkontraste vor. Diese spannungsvolle Anlage des Bildes wird von den Liniengefügen der Komposition gespiegelt und in ihren Empfindungswerten gesteigert.
Die Gouache nahm auch für Marc Chagall (1887-1985) eine besondere Position im künstlerischen Arbeitsprozess ein. Seitdem er um 1910 die Technik in Paris gesehen hatte, experimentierte er mit ihr. Sie wurde rein quantitativ sein wichtigstes 
Medium. Die Gouachefarben eigneten sich hervorragend für spontane Improvisationen und beförderten Chagalls schier unerschöpfliche Bildeinfälle. Mit Hilfe der Gouachetechnik stellte er eine Verbindung zum Unbewussten her. Sie war das Vehikel, mit dem er ein verschüttetes Bilderreservoir durch Phantasie öffnen konnte. Die zahlreichen Gouachen stehen eigenständig für sich, auch wenn sie die Kompositionen seiner größeren Formate vorbereiteten

hallo 27925 Besucherdanke für den Komentar

Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden